Es ist noch nicht mal elf Uhr und schon kreisen die ersten Flohmarktbesucher durch den Ort, ziehen an meinem im Aufbau befindlichen Stand vorbei. Sie kommen zu Fuß, bleiben stehen, betrachten
meine Auslagen, fragen dies und das und machen sich mit dem Lageplan in der Hand auf zum nächsten Stand. Andere schleichen langsam in ihren Autos an den Ständen vorbei. Die meisten von ihnen
haben Bonner Kennzeichen, aber auch Siegburger und Euskirchener sind dabei. Manchmal halten sie auch an, aber aussteigen tun sie nur, wenn ihnen etwas Besonderes ins Auge sticht. Die dritte
Gruppe sind die Radfahrer. Gemächlich schieben sie ihre Drahtesel entlang der Tische in den Garageneinfahrten und Carports, betrachten die Waren, kaufen etwas oder auch nicht, bevor sie wieder
aufsteigen und zu den nächsten Verkäufern radeln, die auch schon auf Kundschaft warten. So geht es kreuz und quer durch Ückesdorf und Röttgen.
Sie kommen aus Meckenheim, Friesdorf, Kessenich, Endenich, Witterschlick, Duisdorf und aus den Nachbarorten Ippendorf, Lengsdorf vom Brüser Berg und vom Venusberg. Auch Ortsansässige lockt der
Flohmarkt zu einem Spaziergang durch den eigenen Ort. Über 200 Stände ziehen sich durch Röttgen und Ückesdorf. Da kommt man schon ordentlich rum und hat obendrein viel zu gucken – nette Gespräche
inklusive.
Das Angebot bestimmt die Nachfrage
Meine Mutter kommt vorbei, im Gepäck hat sie Trödel, den ich auch noch anbieten könne, denn „Zu einem Flohmarkt gehört auch alter Plunder“ sagt sie, nicht nur Spiele, Bücher und Playmobil
Spielzeug wie ich es anbiete. Aus der Kiste holt sie kleine versilberte Tabletts und Schälchen hervor, deren Versilberung an vielen Stellen schon abgeblättert ist, einen Zigarrenabschneider, der
am unteren Ende eines Rehgeweihs angebracht ist, kleine Ohrstecker und –Clips sowie anderen Krimskrams und eine silberne Brosche in Rosenform. Am Stängel ist rückseitig die Anstecknadel
befestigt, die üppige Blüte ist mittig mit drei stecknadelkopfgroßen grünen Edelsteinen besetzt. Ein Erbstück –vermutlich von einer Großtante, die keiner von uns mehr kennt. Ein
geschmacksverirrtes Kleinod, das seit Jahrzehnten ein Schattendasein in einer entlegenen Kramschublade gefristet hat. Wir überlegen gerade, ob man dieses Stück, von dem wir nicht mal sicher
wissen, ob es echt ist, überhaupt anbieten kann, als mein Mann und meine Kinder zu uns stoßen. „Boah, was isn das fürn hässliches Teil“, entfährt es ihnen so oder ähnlich. Wir beschließen es
trotzdem zu versuchen.
Endlich kommt ein Käufer an meinen Stand und ich kann es kaum glauben: er interessiert sich ausschließlich für eben diese Brosche! Noch weniger glaube ich, dass er sie am Ende seiner intensiven
Betrachtung tatsächlich kauft. Wert und Schönheit liegen wohl doch immer im Auge des Betrachters.
Später erfahre ich, dass viele andere Verkäufer ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Besonders gefragt war echter Trödel: Rosenthal-Teller von 1910, alte Wanduhren und kleine Kachelöfen zu
Dekozwecken, Spieluhren, Picknickkörbe und ähnliches, während Kinderbekleidung, Spiele und Playmobil-Sachen nur mäßigen Absatz fanden.
„Viel Wind für Nichts“, aber ´ne Menge Action
Am Stand einer Nachbarin etwa 150 Meter die Straße hinunter tummeln sich Interessenten, die offensichtlich viel Spaß haben, während bei mir gerade Flaute herrscht. Ich schicke meine Söhne auf
„Spionagemission“ dorthin.
Es dauert lange bis sie wieder zurückkommen. „David und Jonas verkaufen ihre Nerfs“, berichten sie. Ein wahres „Waffenarsenal“, das zahlreiche Jungen anzieht, die sich mit Begeisterung
gegenseitig beschießen. „Mittlerweile haben die Nachbarn ihre Hecke mit großen Bettlaken abgehängt, damit die Pfeile nicht unwiederbringlich verschwinden“, erzählen meine Jungs noch. „Dafür habt
ihr so lange gebraucht?“ „Nee“, antworten sie zögerlich, „wir haben da noch ein bisschen mitgemacht.“ Ja klar. Aber toll, so bot der Flohmarkt neben zahlreichen Schnäppchen auch viel Action.
Verkauft wurden die Nerfs –und das nehme ich hier vorweg- allerdings nicht. Bei so viel Spaß werden sie aber vielleicht doch noch mal zum Eigengebrauch mit den Nachbarsjungen reaktiviert.
Stimmungsbarometer im Hoch
Ich überlasse unseren Stand meinen Söhnen –sind ja schließlich ihre Sachen, die verkauft werden sollen- und mache mich auf den Weg durch Ückesdorf. In der Henriettenstraße treffe ich auf den
„Club der lustigen Männer“. Fünf, sechs Nachbarn sitzen gemeinsam im Vorgarten, genießen die Sonnenstrahlen bei einem Bier und winken mir zu, als ich vorbeiradle. Hier wird erzählt und viel
gelacht in Tonlagen vom Bariton bis zum Tenor, während die Frauen einige Verkäufe tätigen und gut gelaunt mit den Besuchern schwatzen.
Ich biege ab in die nächste Straße. Hier bietet sich mir ein ähnliches Bild. Bunte Luftballons und Wimpel lassen schon von weitem erkennen wo die nächsten Stände sind. Auch hier gute Stimmung und
entspannte Verkäufer. Einige bieten zusätzlich selbstgebackenen Kuchen, frische Waffeln und Kaffee an.
Ich fahre weiter und treffe auf einen Mann in der Nachbarschaft, der etwas verloren hinter seinem kleinen Stand dreinschaut. Wir unterhalten uns eine Weile und er gesteht mir: „Bin ich froh, dass
Sie nichts kaufen wollen.“ Ich wundere mich, als er fortfährt: „Wissen Sie meine Frau ist mit den Kindern gerade mal losgezogen, um bei den andern zu gucken. Jetzt stehe ich hier und weiß nicht,
was ich für die Sachen nehmen soll.“ Er umklammert sein Handy mit
der rechten Hand. „Ich hab sie schon ein einige Male angerufen, um Preise abzufragen. Aber das ist gar nicht so einfach.“ Vor ihm auf dem Tisch liegen zahlreiche blaue Pullover und Jacken, die
sich auf den ersten Blick ähneln. Auf dem Boden reihen sich Damen-, Herren- und Kinderschuhe aneinander –bevorzugt in braun, blau und schwarz. Dass die Kommunikation da trotz Smartphone zur
Herausforderung werden kann, leuchtet ein. Wir plaudern noch ein Weilchen miteinander und er entspannt sich ähnlich wie sein Kater, der ausgestreckt in dem offenen Gartentürchen hinter ihm liegt.
In der Straße „Auf den Steinen“ haben sich Nachbarn unter ihrem großen Carport zusammengefunden und einen Gemeinschaftstand errichtet, der an die großen Marktstände auf dem Marktplatz vor dem
alten Bonner Rathaus erinnert. Interessenten werden freundlich und gut gelaunt bedient. Dann und wann prostet man den Nachbarn auf der anderen Straßenseite mit einem Prosecco zu. So wie hier geht
es auch in vielen anderen Straßen zu. Das Ganze hat einen Touch von Straßenfest.
Ungeplanter Zwischenstopp für Fahrgäste eines Linienbusses und Familienklatsch
Hubertusstraße: Die Hauptschlagader für SWB-Busse von und zum Haltepunkt Ückesdorf Mitte. Hier erzählt mir eine Verkäuferin, dass sie nur zu gern ein kleines Hüpfpferd losgeworden wäre. Viele
Kinder hätten dieses Pferdchen auch allzu gern mitgenommen. Aber alles Quengeln und jeglicher Tränenbach scheiterten an den Eltern, die sich weigerten, das Pferdchen durch den Ort zu schleppen.
Plötzlich machte der Fahrer eines Linienbusses vor ihrem Stand Halt, kurbelte das Fenster herunter und deutete mit dem Worten „Hund“ auf Etwas hinter ihr. Sie habe ein wenig gebraucht, um zu
begreifen, dass das Hüpfpferdchen gemeint war. „Kostet?“ – „Ach, fünf Euro.“ – „Kaufe.“ Flugs stemmte sie das Hüpfpferdchen hoch und reichte es dem Fahrer durch das Busfenster.
Ob die wenigen verblüffen Passagiere, eine Runde gratis durch den Gang des Busses hüpfen durften ist leider nicht übermittelt. Sicher aber ist, dass das Pferdchen als Hund komfortabel
abtransportiert wurde und sich die Kinder des Fahrers über das unverhoffte Mitbringsel gefreut haben dürften.
Ähnliche Geschichten hatten auch die Röttgener parat. So traf ein Herr aus Röttgen an einem der Stände rein zufällig auf einen Teil seiner großen Verwandtschaft, zu der er nur losen Kontakt hat
und die er vor vielen Jahren zuletzt gesehen hatte. Dass es sich bei dem Paar neben ihm um Verwandte handelte realisierte er aber erst, als jemand das Ehepaar mit Familiennamen ansprach. „Das war
ein tolles Ding“, sagt er begeistert. „Wir haben noch lange
miteinander erzählt und uns ausgetauscht an diesem schönen Nachmittag.“ So hatte der Flohmarkt viele Facetten – selbst Familienzusammenführungen gehörten dazu.
Umsatz mäßig –Gewinn auf Rekordniveau
Obwohl sich letztendlich alle ein wenig mehr Zulauf gewünscht hätten, hatten die meisten Verkäufer, mit denen ich gesprochen habe, von vornherein keine großen Verkaufserwartungen und waren mit
dem Ergebnis zufrieden. Dennoch darf nicht verschwiegen werden, dass es auch enttäuschte Gesichter gab. Insbesondere Teilnehmer, die in abseits gelegenen Straßen als Einzige einen Verkaufstand
errichtet hatten, wurden kaum bis gar nicht frequentiert. Hier wäre sicher ein wenig Fantasie und Eigeninitiative förderlich gewesen. Ähnlich „benachteiligte“ Verkäufer konnten dies kompensieren
durch große selbstgemalte Hinweisschilder aus Pappe oder durch bunte Pfeile, die sie mit Kreide als Richtungsweiser auf´s Trottoir gemalt hatten. Bei einem derart reichlichen Angebot musste man
schon auf sich aufmerksam machen.
Sicherlich gibt es noch viel mehr Geschichten, die es wert wären hier erzählt zu werden. Leider reichte die Zeit nicht aus, um mehr Stände, geschweige denn alle, anzusteuern.
Als ich wieder zu Hause ankomme, treffe ich eine Bekannte an, die ich schon zehn Jahre nicht mehr gesehen habe. Lange stehen wir beisammen, tauschen Neuigkeiten aus und freuen uns über dieses
zufällige Treffen.
Der Zufall ist zum Glück nicht planbar
Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Flohmarkt ein gut organisierter schöner Event war, dem zusätzlich viele Zufälle zu Gute kamen – unter anderem 25 ° und Sonnenschein. Aber auch der Zufall
braucht Raum, damit glückliche und schöne Momente entstehen können. Dass dies so gut funktioniert hat, ist letztendlich nicht der Verdienst der Organisatorinnen vom RAN! und Röttgen Online, freut
uns aber sehr, denn den zwischenmenschlichen Austausch im Ort zu beleben war eines unserer Anliegen.
Obwohl niemand an diesem Tag den großen Reibach gemacht hat, war der erste Ortsflohmarkt für die meisten ein Gewinn jenseits monetärer Messbarkeit.
Ich habe mich entschlossen, hier einige Geschichten um den Flohmarkt herum zu erzählen. Bitte lesen Sie auch das Schreiben von Vera Gossmann vom Jugendtreff RAN!, die die Aktion aus anderer Perspektive „nachbereitet“ hat.