Mit Flüchtlingen ins Freilichtmuseum Kommern: Retrospektive stärkt Zukunftsglauben

Integration heißt auch sich mit der Kultur und der Geschichte eines Landes auseinanderzusetzten: Wie die Vergangenheit in die Gegenwart führt und wie aus der Gegenwart Zukunft gestaltet werden kann.

 

Immer wieder konfrontiert Doris Mohr, private Flüchtlingshelferin aus Röttgen, deshalb die von ihr betreuten syrischen Flüchtlinge mit deutscher Geschichte. Einer Geschichte, die nicht nur von Kriegen gezeichnet ist, sondern auch vom stetigen und harten Ringen um Freiheit, Gleichberechtigung und Demokratie. „Um die Menschen aus anderen Kulturkreisen für unsere heutige Lebensweise und Werte zu sensibilisieren, reicht reines Bücherwissen nicht aus“, ist sich Doris Mohr sicher. Deshalb unternimmt sie viel mit ihren Flüchtlingen, organisiert Museumsbesuche, lädt sie zu kirchlichen Festen wie Weihnachten und Ostern ein, erklärt Hintergründe und Brauchtum.

 

Auch wenn die von ihr betreuten Flüchtlinge mittlerweile Asyl und Bleiberecht erhielten, die hiesigen Schulen besuchen, Ausbildungsplätze und sogar Jobs gefunden haben, sei Integration damit noch lange nicht abgeschlossen, bemerkt Doris Mohr immer wieder. Der Verlust der Heimat und des sich heimisch Fühlens wiege bei allen immer noch schwer. Zudem seien viele nach wie vor von den Kriegs- und Fluchterlebnissen traumatisiert, so dass Frau Mohr auch in ihrer Funktion als Gesprächstherapeutin weiterhin gefragt ist. „Sich zu integrieren ist auch für die Flüchtlinge nicht einfach. Allein die Sprachkurse und Prüfungen, die Sorge einen Job zu finden, sind für die Menschen auch mit Hilfe von außen purer Stress“, weiß Mohr nur zu gut.

 

Deshalb lässt sich die Flüchtlingshelferin immer wieder neue Aktivitäten und Ausflüge einfallen. „Dabei sammeln die Menschen nicht nur neue Erkenntnisse, es tut auch ihrer Seele gut“, beschreibt Mohr ihre Erfahrungen. Vor kurzem machte sie sich daher gemeinsam mit ihren Flüchtlingsfamilien und zwei weiteren Helfern zu einer Zeitreise in die Vergangenheit im Freilichtmuseum Kommern auf. Bei der vierstündigen Führung durch die Dörfer erwachten die letzten Jahrhunderte zum Leben. Wir folgen der Gruppe an dieser Stelle und teilen deren Gedanken und Emotionen:

(Alle Fotos stammen von den Teilnehmern selbst).

 

Nazhat (45 Jahre):

Das Museum befindet sich auf einer Anhöhe, die wir zu Fuß bewältigen müssen. Oben angekommen offenbart sich ein freier Blick auf ein altes Dorf. Beim Spaziergang durch dieses und weitere Dörfer, hatte ich wirklich das Gefühl in der Zeit zurückgegangen zu sein. Diese wunderschönen alten Häuser, gebaut nur aus Holzbalken, Ästen, Lehm und Stroh, strahlten eine wohltuende Ruhe aus. An diesem Nachmittag habe ich all meinen Stress und alles, was mich stört hinter mir gelassen: Die Herausforderungen bei der Arbeit und die Anstrengung und Konzentration auf die deutsche Sprache. Ich fühlte mich einfach nur leicht und frei.

 

Wenn ich die Bauweise bzw. das verwendete Baumaterial Holz, Lehm, Steine und Stroh der Häuser hier betrachte, sehe ich viel Ähnlichkeit mit syrischen Häusern. Allerdings wird beim Bau syrischer Häuser vermehrt Stein verwendet. Ich vermute das liegt daran, dass wir viele Steine haben aber weniger Holz. Besonders interessant war auch die alte Windmühle. In Syrien liegen die Mühlen immer direkt am Fluss. Bei Hochwasser z.B. ist das ein großer Nachteil.

 

Schön finde ich, dass jedes Haus früher einen eigenen Garten hatte und auch die vielen Haustiere, ganz selbstverständlich zu einer Dorfgemeinschaft dazu gehörten. Das Leben früher erscheint mir so einfach und unkompliziert. Während unseres Rundganges haben wir viel gelernt über die deutsche Geschichte und das Leben wie es sich stetig verändert und weiterentwickelt hat.

 

Auch in unserem Leben hat sich viel verändert durch den Krieg in der Heimat. Der Besuch hier im Freilichtmuseum und die Gespräche, die sich daraus entwickelt haben, haben erneut zum Verständnis einer anderen Kultur –einer, in der wir nach unserer Flucht Fuß fassen möchten- beigetragen. Unsere Museumsführerin Frau Grenzer hat alles sehr lebendig beschrieben und es hat Spaß gemacht ihr zuzuhören und mit ihr zu reden.

 

Obwohl viele Dinge hier für mich noch schwierig sind, fühle ich mich wohl in Röttgen. Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen, die sich so herzlich um mich und meine Familie gekümmert haben und immer noch kümmern.

 

Doris Mohr:

Für mich waren die Bauern- und Kräutergärten ein Quell der Inspiration. Vielen anderen in unserer Gruppe ging es wohl ähnlich. Plötzlich waren wir alle Botaniker. Gemeinsam bestimmten wir die Gemüsearten sowie die verschiedenen Kräuter und tauschten uns über deren unterschiedliche Verwendung aus. Dabei habe ich viel über die syrische Küche und deren Spezialitäten gelernt. Das ein oder andere Rezept lasse ich mir zu Hause nochmal ausführlich zum Mitschreiben und Nachkochen erklären.

 

Das Schönste daran aber war, dass alle ganz ungezwungen drauflos plauderten. In dieser lockeren Atmosphäre kamen sprachliche Hemmschwellen gar nicht erst auf.

 

Die große Tour durchs Freilichtmuseum ist besonders spannend, weil viele der Flüchtlinge aus syrischen Dörfern kommen und so direkte Vergleiche ziehen können. Einige der Flüchtlinge scheinen sehr beeindruckt von der tiefen Gläubigkeit der Menschen früher. Die Segenssprüche über den Haustüren fanden regen Anklang. Dass Männer und Frauen noch bis vor nicht allzu langer Zeit getrennt in den Kirchenschiffen saßen, überraschte einige doch sehr. Dieses und weitere Beispiele regten zum Nachdenken über die Rolle der Frau sowie über den langen Kampf zur Gleichberechtigung an.

 

Kameran (31 Jahre):

Mir gefallen die Häuser und Wohnungen sehr gut. Dass die Wohngebäude der Höfe früher direkt mit dem Stall verbunden waren, hatte ich zuvor noch nie gesehen. Beeindruckt hat mich auch, dass die Menschen auch früher schon mit Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer mehrere Wohnräume hatten. In vielen syrischen Dörfern draußen auf dem Land ist dies nicht so. Die Menschen kochen, schlafen und sitzen beisammen in einem einzigen großen Raum. Seit einem Jahr lebe ich hier in einer kleinen Mietwohnung, ich genieße es sehr hier getrennte Räume zu haben. Insgesamt finde ich, dass sich die Menschen über den Komfort hier glücklich schätzen können.

 

Wir haben an diesem Tag viel über die deutsche Geschichte gelernt. Auch die Kriege waren Gesprächsthema. Die Zerstörung nach dem zweiten Weltkrieg ist einfach unfassbar. Viele Menschen mussten aus Deutschland fliehen. Dennoch haben sie sich nicht entmutigen lassen, sich in der Heimat oder im Ausland ein neues Leben aufgebaut. Mit viel Fleiß haben die Menschen Trümmer beseitigt und neue Häuser gebaut und es in 30 bis 50 Jahren zu Ansehen und Wohlstand gebracht. In meiner syrischen Heimat ist es jetzt genauso. Die Menschen leben in Angst, verlieren ihr Hab und Gut und flüchten vor dem Krieg aus ihrer Heimat. Hier im Freilichtmuseum und auch beim Besuch im Haus der Geschichte aber habe ich gesehen, dass alles auch wieder gut werden kann. Das macht mir Hoffnung.

 

Manan (45 Jahre):

Hier habe ich die Entwicklung der deutschen Zivilisation kennengelernt. Das war eine sehr gute Idee, in diesem Gebiet all die Jahrhunderte alten Häuser wieder aufzubauen. Ich bin beeindruckt von diesem Museum und finde, es sollte Teil des Weltkulturerbes sein.

 

Avin (11 Jahre):

Ich fand die alte Schule toll. Der Klassenraum mit den alten und engen Bänken ist so ganz anders als die Klassenzimmer heute. Heute haben wir es hier in Deutschland sehr gut.

 

Die Ziegen, Hühner, Schweine und Pferde, die es im Freilichtmuseum gibt und die früher ganz selbstverständlich zum Leben der Leute dazugehörten, haben mir besonders gut gefallen. Es war toll sie streicheln und mal ganz nah erleben zu können. Die Feuerstellen bzw. Küchen in den alten Häusern mit den Töpfen, die über der Feuerstelle hingen, waren interessant. Vor jedem Haus stand früher eine Bank. Sie war gemütlicher Treffpunkt für die Familie oder für ein Schwätzchen mit den Nachbarn. Das stelle ich mir sehr schön vor.

 

Raghad (21 Jahre):

Mir gefallen die alten Fachwerkhäuser sehr gut. Dennoch kann der schöne Schein nicht über die Armut, die harte körperliche Arbeit und das Leid der Menschen damals hinwegtäuschen. Wir Menschen heutzutage denken gar nicht daran, wie gut wir es haben. Ich bin jeden Tag froh und dankbar hier in Frieden leben zu können.

 

Doris Mohr:

Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei meinen Helfern bedanken, die die Fahrt ins Freilichtmuseum mit ihren Privatautos erst möglich gemacht haben. Besonderen Dank auch an den Leiter des Freilichtmuseums Kommern, Herrn Dr. Mangold, der uns allen freien Eintritt gewährt hat und an unsere Führerin Frau Grenzer, die uns mit ihren Erklärungen und Geschichten aus längst vergangenen Tagen umfassend und sehr lebendig informiert hat.

 

Weiterhin freue ich mich insbesondere über finanzielle Unterstützung und Sachspenden.

 

Derzeit wird ein Kinderwagen für ein 1,5-jähriges Kind benötigt. Wer einen entsprechenden Kinderwagen abgeben kann, möchte sich bitte unter info@roettgen-online.com oder

Tel.: 0157-770 96 000 melden.