Auf der Suche nach Menschlichkeit im Nationalsozialismus - CvO-Schüler bewegen mit Bühnenstück

„Wenn Menschen auf Menschen treffen“ so der Titel des Dramas, das gestern Abend von den Schüler/innen der Q2 auf der Bühne des

Carl-von-Ossietzky Gymnasiums (CvO) aufgeführt wurde. Keine leichte Kost, handelte es doch von den Todesmärschen der KZ-Häftlinge im Jahr 1945. Zentrales Thema war die kritische Auseinandersetzung mit und die Suche nach Menschlichkeit bei Tätern, Opfern und

der deutschen Bevölkerung.

 

Die Autorin des Stückes, Anna Schramm (17 Jahre) konzentrierte sich dabei besonders auf die Handlungsweise und die Gefühlslage dreier Protagonisten, einen Nazi, der den Todesmarsch beaufsichtigt, einen Juden mit der Nummer 110605, der mitlaufen muss und eine deutsche Frau, die den Marsch beobachtet. Dabei ging die Schülerin des CvO sehr differenziert zu Werke. So fragt sich Nummer 110605, der vor kurzem noch Aaron hieß, ganz normaler Familienvater war wie alle anderen auch, mit welchem Recht er von den Nazis schikaniert, erniedrigt und seiner Identität beraubt werden darf. Warum ist er plötzlich weniger Wert als der mordende Nazi? Auf subtile Weise wirft Anna Schramm die Frage auf, wie ein System u.a. eine derart irrwitzige Verdrehung von Werten hervorbringen konnte. Der Nazi, gespielt von Hannah Schiller, dagegen erträgt das Stöhnen der Häftlinge kaum mehr, findet aber Rechtfertigung für sein Handeln im Regime. Er glaubt an die Parolen, fühlt sich als Retter. Die späteren Schuldzuweisungen und das Erkennen seines Irrtums leiten ihn zum Selbstmord. Ebenso ergeht es der deutschen Frau, die sehr berührend von Marlin Sturhahn dargestellt wurde. Aus ihrem Stolz auf die Soldaten und das Land wird Abscheu, die Frage nach eigener Schuld wird zur erdrückenden Erkenntnis, die sie in den Freitod flüchten lässt. Und mit welcher Erkenntnis geht der Jude aus dem Stück hervor? Die jahrelangen Demütigungen befeuerten seinen Hass, bis er letztlich erkennt, dass dieser Hass auch ihn selbst vergiftet. Sein Ausweg sind das Mitgefühl für sich selbst und seine Peiniger sowie die Vergebung.

 

Die düstere Aufführung war geprägt von ergreifenden Monologen der Hauptdarsteller, die nicht nur den Akteuren viel Emotionalität und Empathie abverlangte, sondern auch dem Publikum tief unter die Haut fuhr und es nachdenklich zurückließ. Was habe ich getan, was unterlassen? Warum habe ich geschwiegen? Welche Werte habe ich und stehe ich dafür ein? Wohin führen Neid und Hass? Diese Fragen sind auch hier und heute so brandaktuell wie vor über 70 Jahren.

 

„Heute besteht allgemein der Drang dunkelste Stellen aus der Geschichte zu tilgen. Die kollektive Schuld gehört aber zur DNA eines Volkes und der Holocaust gehört zu unserer DNA“, sagte Tim Achtermeyer, Landesvorsitzender der Grünen und Vorsitzender des Schulausschusses in Bonn, in seiner Begrüßungs- und Einführungsrede zum Stück. Der Ausspruch „Wehret den Anfängen“ sei angesichts zunehmender Antisemitierung in Deutschland so bedeutend wie noch nie. „Es ist unsere Aufgabe das Gedenken an den Holocaust wach zu halten und neu zu beleben. Dieses Theaterstück ist nicht nur eine Darstellung der Vergangenheit, es geht auch mit konkreten politischen und sozialen Forderungen an uns hervor.“ Die Thematisierung und Aufführung erfordere Mut und verdiene größten Respekt, so Achtermeyer.

 

Der stellvertretende Schulleiter Karl-Friedrich Rutz ist sich sicher, dass der Namensgeber der Schule, Carl-von-Ossietzky stolz auf die heutigen Jugendlichen wäre, die sich diesem Thema mit so viel Wissbegierde, Einfühlungsvermögen und Engagement widmen. Ganz im Sinne des Namensgebers lege das Gymnasium großen Wert auf die politische und soziale Auseinandersetzung mit der Zeitspanne des Nationalsozialismus.

 

Dies ist den Schüler/innen der Q 2 mehr als gelungen. „Hier wurde einem auf erschütternde Art und Weise nochmals ein Spiegel vorgehalten. Es war eine großartige Aufführung“, kommentiert eine sichtlich ergriffene Zuschauerin die Vorstellung im Anschluss.

Anna Schramm: Sie schrieb das Drama, führte Regie und spielte die Rolle des Juden
Anna Schramm: Sie schrieb das Drama, führte Regie und spielte die Rolle des Juden

Entstanden ist das Theaterstück aus einem Projektkurs heraus. Schülerin Anna Schramm schrieb das Drama als „besondere Lernleistung für das Abitur“. Mehr noch, die Autorin führte zudem Regie und schlüpfte in die Rolle des Juden.

 

Schon in der Vergangenheit hat sie viele Geschichten verfasst. Aktuell schreibt sie an einem Roman, der ebenfalls vom Krieg handelt, aber in der Zukunft spielt. „Auch da wird das „Mensch sein“ eine besondere Rolle spielen“, verrät sie.

 

Zu ihrer Leidenschaft fürs Schreiben gesellt sich –erst recht nach dieser mehr als gelungenen Aufführung- die Leidenschaft fürs Theater. Nach dem Abitur im Sommer würde sie gern Schauspiel studieren. „Vielleicht sogar im Ausland. Das ist mein großer Traum“, beschreibt sie ihre Zukunftspläne.

Minimalistische Bühnengestaltung und das intensive Spiel insbesondere der drei Hauptdarstellerinnen fokussierte die Zuschauer auf das Wesentliche. Marlin Sturhahn (li.) überzeugte als deutsche Frau, Autorin und Regisseurin Anna Schramm (Mitte) ging in der Rolle des Juden auf. Auch Hannah Schiller (li) füllte ihre schwierige Rolle als Nazi sehr authentisch aus. Erste Auftritte in Film, Fernsehen und Theater kommen ihr dabei zugute.

 

 

Nicht unerwähnt bleiben darf am Ende Hannah Schramms Großvater, der sich als Bühnenbildner betätigte und den Waggon für die Bühne baute. Auch er ist bekennender Theaterfan und selbst im Genre aktiv.

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