Nach 22 Jahren in Röttgen zieht es Pfarrer Jörg Zimmermann an die Nordseeküste

Zeit, sich zu erinnern und nach vorn zu schauen

Pfarrer Jörg Zimmermann hat das Leben der evangelischen Gemeinde in Röttgen und Ückesdorf mehr als zwei Jahrzehnte intensiv mitgeprägt. Nicht nur als Pfarrer hat er seine Spuren hinterlassen, in seiner Funktion als zweiter stellvertretender Superintendent, die er 16 Jahre lang innehatte, hatte er auch den Bonner Kirchenkreis im Blick. Zudem war er Synodalbeauftragter für den Deutschen Evangelischen Kirchentag. Röttgen verdankt Pfarrer Zimmermann nicht nur Impulse für eine äußerst lebendige Kirchengemeinde; mit viel Engagement hat er auch die Gründung und den Fortbestand zahlreicher Vereine wie den Evangelischen Kirchbauverein, den ökumenischen Jugendtreff RAN!, den Förderverein der Kirchenmusik sowie den Förderverein des evangelischen Kindergartens unterstützt. Nach 22 Jahren wird er die Gemeinde gemeinsam mit seiner Frau Ute Zimmermann-Thiel verlassen und ab 1. Oktober eine neue Stelle an der Nordseeküste im oldenburgischen Sande antreten. Über seine Zeit in Röttgen und wie es weitergeht sprach röttgen-online mit Pfarrer Zimmermann.

 

Herr Zimmermann, Sie sind 1994 als neuer Pfarrer mit ihrer Familie nach Röttgen gekommen, nachdem Sie zuvor drei Jahre in Ruanda tätig waren. Wie sind Sie hier her gekommen und

was haben sie empfunden?

Ja, wir sind dort aus dem Genozid geflüchtet und mussten uns in Deutschland vollkommen neu aufstellen. Ich habe mich auf die Pfarrstelle hier in Röttgen beworben, weil mir die Ausschreibung sehr gut gefiel und auch meinen Wünschen und Vorstellungen sehr entgegen kam. Gott sei Dank hat das auch geklappt. Nach unserer Flucht war es wohltuend, hier in Röttgen in ruhiges Fahrwasser zu kommen und mit unseren beiden Kindern friedlich leben zu können.

 

Ein ganz so ruhiges Fahrwasser hat Ihr Vorgänger allerdings nicht hinterlassen…

Ja, zu Anfang bin ich tatsächlich auch oft auf die Probleme, die es mit Pfarrer Busch gab angesprochen worden. Für mich war das aber nicht von Bedeutung. Ich habe von all dem ja nichts mitbekommen und wollte hier sozusagen neu anfangen. Das haben die Menschen auch akzeptiert und damit war dann auch schnell ein Schlussstrich unter das Vergangene gezogen und der Neuanfang für alle möglich. Insgesamt bin ich hier auch mit meiner Familie sehr freundlich empfangen und aufgenommen worden.

 

Welches war Ihre größte Herausforderung hier in Röttgen?

Die größte Herausforderung in meiner Tätigkeit hier lag ganz klar auf struktureller Ebene. Mir war schnell klar, dass die anfängliche Johanniskirchengemeinde mit sieben Pfarrbezirken viel zu groß, unüberschaubar und unregierbar war. Jeder Pfarrbezirk lebte für sich, es gab kaum Gemeinsamkeiten nicht einmal einen gemeinsamen Gemeindebrief. Ich hatte nie den Eindruck, dass es in dieser großen Gemeinde eine echte Identität gab. Der Gedanke die Gemeinde zu teilen, war bereits vor meiner Zeit gedacht worden, aber niemand hatte sich mit der konkreten Umsetzung befasst.

 

Bis Sie die Ärmel hochgekrempelt haben…

(lacht) …ja tatsächlich war ich hier jahrelang Vorsitzender des Strukturausschusses der Johanniskirchengemeinde und habe mich als solcher sehr für die Teilung eingesetzt. Und das war definitiv das dickste Brett, das ich hier gebohrt habe.

 

2007 war es dann endlich soweit und es entstanden neben der verkleinerten Johanniskirchen-Gemeinde Bonn- Duisdorf eine weitere Gemeinde aus den zwei Pfarrbezirken Röttgen-Ückesdorf und Witterschlick-Oedekoven, die wir heute als Ev. Kirchengemeinde am Kottenforst kennen.

Ja, und auch wenn die beiden Bezirke durch den Kottenforst geographisch getrennt sind, haben wir doch ein starkes Bewusstsein füreinander entwickelt. Die Teilung der Johanniskirchengemeinde war eine Entscheidung, die ich auch jetzt 10 Jahre danach nicht bereue.

 

Jeder im Ort kennt Ihren großen Einsatz für die Gemeinde und die vielen Dinge, die Sie im Laufe der Jahre hier bewegt haben. Ich denke an die Einführung der Jugendgottesdienste, die Gründung der Thom´s Glory Singers, den Kinderbibeltag, ganz abgesehen vom regen Zulauf, den Ihre sonntäglichen Gottesdienste sowie ihre Konfirmandengruppen haben. Auch als Notfallseelsorger waren Sie hier im Einsatz. Was war Ihnen sonst noch wichtig?

Ganz klar natürlich all die Dinge, die Sie schon aufgezählt haben, wobei der Kinderbibeltag, der heute ein absoluter Klassiker ist, von meiner damaligen Frau initiiert wurde, den ich aber sehr gern beibehalten und fortgeführt habe. Ergänzen möchte ich eine Sache, die ich aus Afrika- abgesehen von einigen musikalischen Akzenten- mitgebracht habe. Einmal im Jahr habe ich einen Prediger aus der internationalen Ökumene nach Röttgen eingeladen. Denn ich

halte es auch für wichtig, dass wir den Horizont der Weltchristenheit nie aus den Augen verlieren. Obwohl gerade in unserem Pfarrbezirk sehr viele Menschen auch international unterwegs sind, habe ich doch erstaunt festgestellt, dass das kirchliche Leben oft auch von ein wenig Provinzialismus geprägt ist. Es tut uns jedenfalls gut wahrzunehmen, was es an Kirche international mit ihren verschiedenen Stilen und Überlegungen sonst noch so gibt. Auch diesen Akzent wollte ich immer ein wenig wach halten.

 

Nicht vergessen möchte ich die ökumenische Zusammenarbeit, die zwar schon immer gut war, sich zuletzt aber durch die gemeinsame Flüchtlingshilfe vor Ort, nochmals intensiviert hat. Diese Arbeit habe ich sehr gern gemeinsam mit meiner jetzigen Frau getan, die sich mit ganzem Herzen ehrenamtlich engagiert.

 

Aber auch die Betreuung von Kindern und Jugendlichen auf diversen Freizeiten ist etwas, das wir sehr gern gemeinsam tun.

 

Was war für Sie ein Highlight in den 22 Jahren Röttgen?

Oh, da stellen Sie mir aber eine schwierige Frage. Es gab sicherlich viele Highlights im Lauf der Jahre. So ganz spontan fällt mir aber die letzte Konfirmation ein, die mich sehr berührt hat. Unter den Konfirmanden gab es einen schwerbehinderten Jungen, von dem wir uns nicht sicher waren, ob er den Gottesdienst von der Stimmung und der Anspannung her überhaupt ertragen würde. In Absprache mit den Eltern entschieden wir, den Jungen nur zur

Einsegnung in seinem Rollstuhl in die Kirche zu fahren. Und weil er den Klang der Glocken so liebt, haben wir bei seinem Einzug die Glocken läuten lassen. Zu beobachten wie er die Segnung ganz aufmerksam und ruhig entgegennahm bevor er wieder hinausgefahren wurde, war für mich ein wunderbares atmosphärisches Highlight.

 

Abgesehen davon freut es mich immer, wenn auch Kinder mit Behinderungen am Konfirmandenunterricht teilnehmen und nicht von vornherein ausgeschlossen werden – auch nicht aus Sorge der Eltern. Behinderte Menschen in der Gemeinde mitzunehmen, liegt mir seit jeher sehr am Herzen.

 

Was nehmen Sie für sich selbst aus Ihrer Röttgener Zeit mit?

Ich nehme mit, dass die Menschen konstruktiv, kritische Ohren haben im Gottesdienst und mir ein gewisser intellektueller Anspruch entgegengebebracht wurde. Zuweilen war hier auch meine Kritikfähigkeit gefragt. Ansonsten behalte ich sehr viel Wohlwollen, Freundlichkeit, Akzeptanz und eine gute Zusammenarbeit mit allen kirchlichen Vertretern und zahlreichen Vereinen wie z.B. dem Festausschuss in Erinnerung.

 

Auch die Selbstverständlichkeit, mit der die Kirchen hier zusammenarbeiten nehme ich mit. Nicht zuletzt hat mich hier sicherlich die rheinische Lebensfreude –ich denke an Kirmes und Karneval- ein Stück weit geprägt.

 

Ab 1. Oktober werden Sie als neuer Pfarrer in Sande an der Nordsee tätig werden. Auch diese Gemeinde besteht aus zwei Pfarrbezirken, ist ähnlich groß und ähnlich aufgestellt wie die unsere. Auf den ersten Blick sind so gut wie keine Unterschiede festzustellen, was hat Sie zu dem Wechsel bewogen?

Nach 22 Jahren habe ich mir die Frage gestellt, ob ich nicht doch nochmal eine andere Herausforderung mit neuen Menschen in einem neuen Ort annehme. Die Perspektive war da und mit Mitte fünfzig sicher auch die letzte Gelegenheit. Wenn nicht jetzt, wann dann? Gemeinsam mit meiner Frau haben wir uns nun für einen Tapetenwechsel entschieden.

 

Nun freue ich mich auf die neue Aufgabe und lasse mich gern auf die Menschen mit anderer Mentalität, anderer Sozialstrukturen und ihren Erwartungen ein. Sicher gehe ich hier mit einem lachenden und einem weinenden Auge fort, aber ein frischer Wind wird auch neue Impulse in die Röttgener Gemeinde bringen, die ich so vielleicht nicht gebracht habe.

 

Wer wird diesen Wind mitbringen?

Es wird eine Vakanzvertretung für ein Jahr geben. Pfarrerin Beatrix Firsching , die in der Auferstehungsgemeinde am Venusberg Vikarin war, wird mit Mann und zwei Kindern nach Röttgen kommen. Aufgewachsen ist Frau Firsching übrigens am Brüser Berg, so dass sie die Gegend gut kennt.

 

Besteht die Möglichkeit, dass aus dieser Vertretungsphase mehr wird?

Ja, die Vakanzvertretung soll auch zum näheren Kennenlernen dienen. Wenn die Sache passt, und die Gemeinde und Frau Firsching übereinkommen, könnte es dahin kommen, dass sie nach einem Jahr die Pfarrstelle bekommt.

 

Herr Zimmermann, Ihnen und Ihrer Frau wünschen wir nun alles erdenklich Gute für Ihren Neustart in Sande. Ganz herzlichen Dank für das Interview, zu dem Sie trotz Umzugsstress

bereit waren.

 

Der Abschiedsgottesdienst

für Pfarrer Zimmermann findet am

Sonntag am 18.9.2016 um 11 Uhr

mit anschließendem Empfang in der Thomaskirche

statt.

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