Kirchenlust oder Kirchenfrust? - Podiumsdiskussion in der Thomaskirche

Diskussion aus ganz unterscheidlichen Aspekten: Regisseur F. Heuel, Lebensberaterin A. Horn-Lingk, Moderatorein Dr. M. Padberg, Vikarin Dr. C. Tippmann und Politiker Dr. J. Stamp (von li. nach re.)
Diskussion aus ganz unterscheidlichen Aspekten: Regisseur F. Heuel, Lebensberaterin A. Horn-Lingk, Moderatorein Dr. M. Padberg, Vikarin Dr. C. Tippmann und Politiker Dr. J. Stamp (von li. nach re.)

 Röttgen. Unter dem Motto „Was glaubst Du denn? Eine Woche Kirche testen“, startete die evangelische Kirchengemeinde am Kottenforst verschiedene ungewöhnliche Aktionen. Sie sucht damit Kontakt zu Menschen, die schon länger nicht mehr den Weg in die Kirche gefunden haben. Die Devise der Testwoche: Ins Gespräch kommen über Glauben, Kirche, den lieben Gott und die Welt. Im Rahmen dieser Veranstaltungen versammelte sich am 28. Mai eine illustre Runde von Vertretern aus Politik, Kirche, Lebensberatung und Theater zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion in der Thomaskirche zum Thema „Kirchenlust oder Kirchenfrust?“ Auch das Publikum war aufgefordert Meinungen zu äußern. Im Wesentlichen ging es um folgende Fragenkomplexe: Was wünschen sich die Menschen und wie findet die Kirche in der heutigen Zeit ihr Publikum?

Die Menschen heute verbänden die Kirche mit großen Caritativen Institutionen, mit Aktivitäten im Seelsorge- oder Pflegebereich, fühlten sich selbst aber nicht mehr der Kirche zugehörig, beschrieb Moderatorin Martina Padberg die Ist-Situation. Angesichts leerer Kirchenbänke, stelle sich die Frage, wie Kirche den Sprung in die nächste Generation schaffen könne. Theaterregisseur Frank Heuel und auch Pfarrerin Dr. Caroline Tippmann von der evangelischen Kirchengemeinde Hardtberg waren sich einig: neue, zeitgemäßere Formate müssen auch für die Kirche geschaffen werden. Ähnlich wie im Theater, das ebenfalls mit schwindenden Zuschauerzahlen zu kämpfen hatte, müsse auch in der Kirche die Distanz zwischen Kirchenvertreten und den Menschen auf der Straße aufgehoben werden, meint Heuel. Dies sei im freien Theater, das sich durch eine hohe Beweglichkeit hinsichtlich neuer Formate auszeichne, sehr gut machbar. „Das Wichtigste ist, ein Produkt zu

schaffen, das eine hohe Relevanz für die Menschen hat und an die Nachfrage angepasst werden kann.“, resümiert er. Die Lehren der Kirche sind jedoch kein Produkt und lassen sich erst recht nicht so einfach anpassen. Das Evangelium mit seinen Kernaussagen ist fix. Carolin Tippmann führt die Entfremdung zur Kirche auf Unverständnis zurück: „Viele verstehen die Sprache der Kirche und die Traditionen nicht mehr, weil sie es auch in ihrem häuslichen Umfeld nicht mehr erleben.“ So müsse man auch in der Kirche über neue Vorgehensweisen nachdenken, um den Menschen wieder näher zu kommen. Nur, wieviel Innovation kann Kirche verkraften? Und wie kann der Dialog mit den Menschen auf der Straße in Gang gesetzt werden? Bei allem Innovationswillen warnte Dr. Joachim Stamp

(Politiker, MdL) davor dem Mainstream hinterher zu laufen. „Die Kirche muss ihre Authentizität wahren. Nachdenken über das Evangelium muss hier im Fokus stehen.“, sagt er.


Auf der Suche nach Spiritualität und Individualität

Dass Menschen heute vielleicht sogar mehr denn je auf der Suche nach Sinn und Zweck des Lebens sind, zeigt sich nicht zuletzt im Boom der Yoga-Kurse, Pilgerreisen, diverser Meditations- und Lebensberatungsangebote. Ein Trend, den auch Anita Horn-Lingk (Lebensberaterin) in ihrer Praxis bestätigt sieht. „Die Leute verspüren eine Sehnsucht nach

Spiritualität – nach einer Ebene, die über den Alltag hinausgeht, in der sie Wertschätzung erfahren und zugleich ihre Individualität leben können“, sagt sie. Insbesondere junge Menschen hätten häufig negative Erfahrungen mit der Kirche gemacht. Mangelnde Identifikation mit der Institution Kirche treibe sie in ein überkonfessionelles Angebot. So seien sogar ihre Workshops „Beten lernen“, als eine Form von Spiritualität, stets ausgebucht. Beten lernen außerhalb der Kirche? Ein Paradoxon, das nur schwer zu verstehen ist, handelt

es sich hier doch um eine Kernkompetenz der Kirche. Geborgen sein in alten Traditionen, die wunderbaren alten Texte, deren Inhalt auch heute noch von Bedeutung seien, all das biete die Kirche nach wie vor, so Pfarrerin Caroline Tippmann. Allerdings, müssten die Kernanliegen der Kirche in einer Form kommuniziert werden, die für mehr Aufmerksamkeit sorgt und von den Menschen nicht nur gehört, sondern auch erfahren werden. „Texte“, sagt Heuel, “müssen,

ähnlich wie im Theater, so vorgetragen werden, dass die Leute das toll finden.“ Ein Vorschlag, der nur bedingt greift, denn Kirche ist schließlich keine professionelle Showbühne. Konkrete

Lösungsansätze sahen die Beteiligten im steten Erklären von Glaube und Traditionen, dem unablässigen Einüben des Betens als Handwerkszeug und Anstoß für den eignen Dialog mit Gott sowie kirchliche Aktionen mit Eventcharakter. Letzteres spreche vorzugsweise Jugendliche an, berichtet Anita Horn. Gerade sie seien auf der Suche nach Zugehörigkeit in einer belebten Gemeinde, die sich durch viele verschiedene Aktionen wie Einsatz in der Flüchtlingshilfe, Demonstrationen, oder auch Partys auszeichne. Kirche als Unterhaltungs-Sendung stieß jedoch bei vielen der Anwesenden auf Widerspruch. Hier sei sehr darauf zu

achten, dass ein sakraler Raum nicht ins Profane abrutsche, so der allgemeine Tenor. Klar ist, dass Kirche in der Art der Kommunikation flexibler sein muss als bisher: unterschiedliche Lebenserfahrungen von Senioren, jungen Leuten und Kindern müssen bei der Erklärung biblischer Texte und klerikaler Rituale stärker berücksichtigt werden, um zu spiritueller Erfahrung und Selbsterkenntnis zu führen. „Ein guter Weinkenner werde ich, indem ich viele gute Weine probiere, und nicht indem ich Weinführer lese“, konstatierte Martina Padberg, und weiter: „Um Spiritualität zu erfahren, muss ich sie erklärt bekommen, damit ich sie auch

erkennen kann.“ Einen allgemeinen Konsens zu finden, in der Art und Weise wie Spiritualität erfahren werden kann, ist sicher nicht möglich – dafür sind Menschen zu unterschiedlich. „Aber da dürfen und müssen wir den Leuten wieder etwas zumuten, auch wenn es mal nicht gerade attraktiv ist“, meint Frank Heuel. Denn gerade das Tradierte gebe Halt und sei der Grundstein, auf dem individuelles Erleben aufbaue.


Kirche bedeutet auch Gemeinschaft

Kirche ist nicht nur ein Ort der individuellen Spiritualität, sie schöpft ihre Bedeutung auch aus gelebter und erlebter Gemeinschaft. Von einer großen Gruppe getragen zu werden, sei ein Erlebnis, das man sich nicht selbst schenken kann, betont Caroline Tippmann. Ihr macht die

Tatsache Sorge, dass nur noch wenige Menschen über ihren Glauben sprechen. Hier sollten vermehrt Räume beispielsweise nach dem Gottesdienst geschaffen werden, um zu einem verstärkten Miteinander finden zu können, fordert Stamp. Große Impulse für eine christliche Gemeinde erhofft er sich auch aus der Ökumene. Theologische Dogmen sollten nicht über das gestellt werden, was die Kirchengemeinden verbinde. Zudem müssten christliche Inhalte auch gelebt werden, so zum Beispiel ganz aktuell im privaten oder kirchlichen Einsatz für

Flüchtlinge. „Leider“, sagt er, „ lassen sich Bürger nur schwer zur Übernahme von politischer oder christlicher Verantwortung bewegen.“


„Das Standbein in der heimischen Kirche, das Spielbein in der Welt“ 

Als positiv wertete Heuel die Tatsache, dass Kirche sich nach Jahren der Entpolitisierung, wieder stärker zu politischen Themen äußere. „Wir müssen offen sein für das, was uns in der Welt begegnet und uns an den Lebensthemen orientieren“, stimmte Caroline Tippmann zu. Allerdings dürfe keine Politik von der Kanzel herab gemacht werden, Kirche dürfe sich keiner Partei unterordnen, mahnte Stamp.

Um Menschen neugierig auf Kirche zu machen, sei es wichtig, neben der eindeutigen Stellungnahme zu unserer Lebenswirklichkeit, Menschen in die Kirchengemeinde einzu-laden, sie willkommen zu heißen, um dann erneut aus der Kirche heraus über das, was sie dort begeistert zu erzählen, meint Pfarrerin Tippmann und spricht von der „Komm- und Gehstruktur“ einer Kirchengemeinde.


 

Moderatorin war

Dr. Martina Padberg: Presbyterin, Lehrbeauftragte am Kunsthistorischen Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

 

 

 

 

Das sagten die Diskutanten als Ergänzung zu dem Satz:

 

"Kirche ist für mich...

Dr. Caroline Tippmann

Vikarin, seit 2014 Pfarrerin in der Kirchengemeinde Hardtberg

Dr. Joachim Stamp,

Politiker (MdL)

Frank Heuel

Theaterregisseur und künstlerischer Leiter des Fringe Ensemle, Bonn

Anita Horn-Lingk

Lebensberaterin


 

... Freiheit."

 

 

 

 

 

 

 

 



 

... ein Stück Heimat."

 

 

 

 

 

 



... Teil der Gesellschaft und Kultur."

 

 

 

 

 

 

 


 

... Hoffnungsraum."


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